% process with xelatex \documentclass[a4paper,12pt,oneside,american, % % draft, % CAVE - turns off hyperlinks unless final mode is chosen below ngerman]{article} % \documentclass[a4paper,11pt,ngerman]{article} % vim: textwidth=75 % xetex: \XeTeXinputencoding "utf8" \usepackage{fontspec,xunicode} % kann kein ß: %\usepackage[T1]{fontenc} % russian: T1,T2A %\defaultfontfeatures{Scale=MatchLowercase,Mapping=tex-text} %\setmainfont{CMU Serif} % \setsansfont{CMU Sans Serif} % \setmonofont{CMU Typewriter Text} %\usepackage[english,ngerman]{babel} \usepackage[english,german]{babel} \selectlanguage{ngerman} \usepackage[autostyle]{csquotes} \usepackage{epsfig} \usepackage{verbatim} %\usepackage[utf8]{inputenc} % UGLY - DON'T USE IN PAPER! % \setlength{\evensidemargin}{\evensidemargin-.3in} % \setlength{\oddsidemargin}{\oddsidemargin-.3in} % \setlength{\topmargin}{-.4in} % \setlength{\textheight}{\textheight+3in} % \setlength{\textwidth}{\textwidth+0.6in} %% \renewcommand{\baselinestretch}{1.50}\normalsize % Prostituierten- und SchusterInnenkinder vermeiden \clubpenalty = 10000 \widowpenalty = 10000 % \title{ A History Of Paraphrenia in the Context of Psychiatric Classification} \def\DAtitle{ Eine Geschichte der Paraphrenie unter besonderer Berücksichtigung der Wiener Schule der Neurowissenschaften im 19.~und frühen 20.~Jahrhundert} \def\DAtitleen{ A History Of Paraphrenia in the Context of the Vienna school of Neuroscience in the 19th and early 20th century} \makeatletter \def\ifdraft{\ifdim\overfullrule>\z@ \expandafter\@firstoftwo\else\expandafter\@secondoftwo\fi} \makeatother %\date{June 26, 2011} %\date{\today} % no date, would appear on title page \date{} \author{ % otherwise at the end of title? %% \begin {center} %%Eingereicht von \\ %%Alexander Ölzant-Faderler\\ %% 09301547 %%\end {center} } \title{ \begin {center} \Large{\ifdraft{ENTWURF des }{}Projektplan\ifdraft{s}{}} \\ \vspace*{2cm} \Large \bfseries {\DAtitle} \\ \vspace{2cm} Alexander Ölzant-Faderler\\ 09301547 \\ \vspace{1cm} \normalsize Mit externer Betreuung unter der Anleitung von\\ \Large Priv.-Doz. 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Version stehen soll % \renewcommand*{\urldatecomment}{Abruf: } % % \def\bibidemSmname{---}\def\idemSmname{Ders.} % \def\bibidemsmname{---}\def\idemsmname{ders.} % } % \addto\jbonlyforbib{% %---->das ist auch neu und muss für das Literaturverzeichnis da sein % \DeclareRobustCommand{\editorname}{\unskip,\space Hrsg} %---->gleiches Spiel, damit der deutsche Begriff im Literaturverzeichnis steht % \renewcommand*{\urldatecomment}{Abruf: } % % \def\bibidemSmname{---}\def\idemSmname{Ders.} % \def\bibidemsmname{---}\def\idemsmname{ders.} % } \begin{document} % \fontspec[BoldFont={CMUSerif-Bold}] {CMU Serif} \maketitle \thispagestyle{empty} \clearpage \section{Abstract} Das Diplomarbeitsprojekt wird die historische Verwendung des Begriffs der ``Paraphrenien'' in den deutschsprachigen psychiatrischen Klassifikationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts umreißen. Als historisches Umfeld sollen dabei insbesondere die Wiener neurologische Schule um Theodor Meynert und im weiteren Sinne die Vorgänge und Veränderungen in Unterricht und Praxis der Psychiatrie im deutschsprachigen Raum einbezogen werden. In diesem Kontext werden vor allem drei unabhängige Verwendungsbereiche von ``Paraphrenie'' gezeigt. Karl Ludwig Kahlbaum prägte den Begriff in seiner Krankheitslehre 1863, welche die Einheitspsychose ihrer Zeit erweiterte und daneben andere Krankheitseinheiten stellte. Die Paraphrenien definiert er dabei um Psychosen in einem Zeitalter der Veränderung, sowohl in der Jugend wie auch im Alter. Sigmund Freud erinnerte sich 1911 Kahlbaums ``Paraphrenie'' und schlug den Begriff in einem etwas anderen Kontext als neutralen Überbegriff für Kraepelins ``Dementia praecox'' und Bleulers ``Schizophrenie'' in einigen Schriften vor. Etwa zur gleichen Zeit griff Emil Kraepelin in der achten Auflage seines Lehrbuchs auf die ``Paraphrenie'' zurück, um sie in der Gruppe der endogenen Psychosen neben der ``Dementia praecox'' als eine Krankheit mit Abwesenheit oder milderer Ausprägung der Negativsymptomatik (emotionale Verflachung, reduzierte Sprache bis Katatonie) darzustellen. Als Ausblick soll in einem Schlusskapitel die Verwendung des Begriffs im weiteren 20.\, Jahrhundert kurz umrissen werden. %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% \section{Zusammenfassung und Erörterung des Wissensstandes} \label{sec:stand} Über die Psychiatriegeschichte und Entstehung der Klassifikationssysteme im deutschsprachigen Raum liegen mehrere Standardtexte vor, welche für die Arbeit als Referenz herangezogen werden. Die Vorgänge und Veränderungen in Unterricht und Praxis der Psychiatrie sind in den Schriften von Volker Roelcke\footcite[S. 389 Laborwissenschaft und Psychiatrie: Praemissen und Implikationen bei Emil Kraepelins Neuformulierung der psychiatrischen Krankheitslehre]{roelcke1}$^,$\footcite[93ff]{gradmannschlich} und Eric J. Engstrom\footcite[]{engstrom1998} umfassend dargelegt, als frühere Quellen werden auch die Lehrbuecher von Karl Jaspers\footcite{jaspers1913}$^,$\footcite{jaspers1920}, % und die umstrittene % Wundt-Biographie von Stanley Hall\footcite{hall}, Mathias % Kiefers\footcite{kiefer} Arbeit zur Entwicklung des Seelenbegriffs sowie die publizierten Briefe zwischen Wundt und Kraepelin\footcite{steinberg} sowie die von Jürgen Peiffer herausgegebenen zur Entwicklung der Hirnforschung\footcite{peiffer}, welche eine wichtige Strömung in der Entwicklung der Psychiatrie darstellte und sich im Widerstreit mit der psychologischen Richtung verstand.\footcite[So äußert sich etwa Oskar Vogt auf S. 220 in einem Brief an Auguste Forel am 15. 8. 1894 über einen ``Disput'' mit Kraepelin, der meint, die Hirnlokalisationstheorie hätte der Psychologie geschadet, würde lange Zeit für die Psychologie wertlos sein, kenne nur motorische und sensorische Zentren, aber keine psychischen]{peiffer} % % TODO: REF! % Im Gegenzug soll auch auf die Bedeutung von Psychotherapie\footcite[S. 397 er stellt dabei ``Abreagieren'' und ``Beichten'' in den Vordergrund und erwähnt explizit die Psychoanalyse.]{jaspers1920} und im Speziellen der Psychoanalyse kurz eingegangen werden sowie auf den Einfluss, welche ihre Vertreter*innen in Bezug auf die Entstehung einer eigenständigen Psychiatrie hatten. In Bezug auf die Hirnforschung soll besonders auf die Wiener Schule der Neurowissenschaften um Theodor Meynert und einige seiner Schüler*innen wie Sigmund Freud oder das ``Wiener Quartett'' Marie Bokowa, C.~E.~Hoestermann, Auguste Forel und Susan Dimock eingegangen werden.\footcite[487]{forelbriefe} Nach Volker Roelcke sind besonders drei Entwicklungen für die vielfältigen Veränderungen in der Psychiatrie ab 1870 verantwortlich: die Entstehung eines Sozialversicherungswesens, Umbrüche an den Universitäten und besonders die zunehmende Wichtigkeit der Naturwissenschaften und die wachsende Bedeutung von Technik und Wissenschaften für die Bevölkerung.\footcite[S. 169]{engstromroelcke}$^,$\footcite[77f]{roelcke2018} Beim {\it Verein deutscher Irrenärzte}, der {\it Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie} sind dabei in dieser Zeit in Deutschland drei Themen von besonderer Bedeutung: als erstes nennt er die Herausforderungen im Umfeld der neuen ``Irrengesetzgebung''. Zweitens kommen die Umbrüche an den medizinischen Fakultäten und Universitäten zum Tragen, welche unter anderem Psychiatrie als Unterrichts- und Prüfungsfach etablieren werden und daher auch Professuren notwendig machen. Und drittens wird das Projekt einer ``reichsweit standardisierten Irrenstatistik'' angegangen.\footcite[S. 171]{engstromroelcke} Die Forderung nach einer Irrenstatistik wurde beim Psychiater*innen\-kon\-gress in Paris 1867 laut, der unter der Leitung von Ludger Jules Joseph Lunier stattfand. Es wurden ``Autorität, Validität und prognostisch-praktische Relevanz psychiatrischer Kategorien und Urteile''\footcite[172]{engstromroelcke} davon erhofft, unter Mitarbeit von Griesinger, Mundy und Roller entstand ein Entwurf, der ``an alle Regierungen sowie die psychiatrischen und statistischen Gesellschaften in Europa und den USA versendet'' wurde. Dieser beinhaltete den Vorschlag eines Zählblatts, für dessen Inhalt allerdings vorerst kein Konsens gefunden werden konnte. Emil Kraepelin griff jedoch das Konzept für seine Forschung später auf und definierte seine eigenen ``Zählblätter''. % und welches zu Konflikten zwischen dem von Griesinger über das ``Archiv für Psychiatrie'' beeinflussten Preussen und dem Rest Deutschlands und dem Verein deutscher Irrenärzte bzw. der ``Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie'' führte; Christian Friedrich Nasse schrieb dazu, dass die Zählblätter ``von der Regierung octroyiert'' worden seien.\footcite[174]{engstromroelcke} Unter anderem bestand Uneinigkeit über die Klassifizierung von Melancholie und Wahn als ``primäre'' oder, auf Grund der Lehre von der Einheitspsychose, als ``secundäre Seelenstörungen''.\footcite[175]{engstromroelcke} Engstrom führt die beachtliche Zahl an ab 1878 erschienen Lehrbüchern im Wesentlichen auf die Erwartung zurück, dass Psychiatrie alsbald in die Lehrpläne der Universitäten integriert würde. \footcite[183]{engstromroelcke} % Emminghaus (1878): Allgemeine Psychopathologie zur Einführung in das Studium der Geistesstörungen, Schüle (1878): Handbuch der Geisteskrankheiten, Dittmar (1878): Vorlesungen über Psychiatrie, Blandfort (neue Uebersetzung 1878): Die Seelenstörungen und ihre Behandlung, Krafft-Ebing (1879): Lehrbuch der Psychiatrie, Weiss (1881): Compendium der Psychiatrie.\footcite[183]{engstromroelcke} auch Wernicke veröffentlicht 1881 die erste Ausgabe seines Lehrbuches\footcite[496]{forelbriefe}) Dabei hebt sich bereits strukturell Kraepelins ``Compendium'' von den Werken der anderen Autor*innen ab: während bei jenen am Anfang eine Übersicht über die Geschichte der Psychiatrie, psychiatrische Elementarerscheinungen wie Gefühl, Verstand und Wille sowie Notizen zur Problematik der Klassifikation der Erscheinungen des Seelenlebens stehen, beschränkt sich Kraepelin im zweiseitigen Vorwort darauf, ``eine gewisse Selbständigkeit der Themen'' einzuräumen und geht im ersten Kapitel auf Hilfswissenschaften und Methodik ein, worunter er sowohl physiologische und pathologische Aspekte als auch anthropologische % TODO: "physiol. Anthr.???" Vergleiche sowie psychologische Messungen und Beobachtungen versteht.\footcite[183]{engstromroelcke} Diese Schwer\-punktsetzung ist sicherlich auf seine Begeisterung für die Experimentalpsychologie Wilhelm Wundts zurückzuführen. % , auch wenn er spätestens in Dorpat zu der Erkenntnis gelangen musste, dass ``der bei Wundt erlernten experimental- und pharmakopsychologischen Methode fuer die Wissensschöpfung über psychische Krankheiten eben lediglich der Rang einer Hilfswissenschaft zukommt und nicht, wie vordem gedacht, der der Schlüsselwissenschaft''.\footcite[144]{steinberg} \subsection{Paraphrenie bei Karl Ludwig Kahlbaum 1863} Die Verwendung des Begriffs ``Paraphrenie'' geht auf Karl Ludwig Kahlbaums Lehrbuch ``Die Gruppirung der psychischen Krankheiten und die Eintheilung der Seelenstörungen''\footcite[]{kahlbaum} von 1863 zurück. % , welches von Rafael Katzenstein eine umfangreiche Durchleuchtung erfährt. Das vorrangige nosologische Konzept der Psychiatrie war um die Mitte des 19.~Jahrhunderts jenes der Einheitspsychose, ein Begriff, der auf Heinrich Wilhelm Neumann (1814 - 1884) zurückgeht. Emil Kraepelin nannte sie später auch die ``Zeller-Griesingersche Lehre''\footcite[80]{kraepelin100}. Demzufolge durchlaufen typische Psychosen prozesshaft vier Stadien, welche stets in der gleichen Reihenfolge ablaufen und jeweils im Wesentlichen durch Melancholie, Manie, Verwirrtheit und Blödsinn gekennzeichnet sind.\footcite[16]{katzenstein} Da diese im Frühstadium als heilbar galt und die Prognose mit der Abfolge der Stadien als immer schlechter angenommen wurde, war eine frühe Hospitalisierung ein wichtiges Ziel in der psychiatrischen Versorgung.\footcite[115]{engstromroelcke} Kahlbaum würdigt nicht nur die Einheitspsychose im historischen Einführungskapitel seines Buches, sondern erkennt sie auch durchaus unter der Bezeichnung ``vesania typica'' als Unterpunkt einer seiner fünf Gruppierungen von Geisteskrankheiten an. Er hat jedoch zwei wesentliche Kritikpunkte an diesem Modell: erstens sieht er die Einheitspsychose als häufigen, aber nicht einzig möglichen Verlauf und einzige Erklärung, sondern argumentiert, dass die Phasen auch unabhängig voneinander vorkommen können, nicht zwingend in dieser Reihenfolge auftreten müssen und auch Phasen entfallen können, zweitens legt er Wert auf die strikte Trennung von Symptomen und Krankheitsbildern. Neben der ``vesania typica completa'' mit allen Stadien beschreibt er Unterformen, bei denen etwa die erste oder zweite Phase nicht zu beobachten sind (``vesania typica praeceps'' bzw. ``vesania typica simplex''). Ausser der ``vesania typica'' nennt Kahlbaum auch die progressive Paralyse als ``vesania progressiva''\footcite[18]{katzenstein} in dieser Gruppe, ferner in seinem zweiten Lehrbuch 1878 auch das ``Spannungsirresein''.\footcite[19]{katzenstein} Als weitere Gruppen stehen im Lehrbuch die ``vecordia'', ``Dysphrenie'', ``Neophrenien'' und eben die ``Paraphrenien''. Diese ``Paraphrenien'' werden als eine Klasse von Geistesstörungen beschrieben, welche sich in Zeiten der geistigen Veränderung entwickeln. Es wird darunter eine ``Hebephrenie'' in der Pubertät sowie eine ``Paraphrenia senilis'' im Greisenalter eingeordnet, wobei letztere nach Katzenstein sonst ``Dementia senilis'' genannt wird.\footcite[23]{katzenstein} Bemerkenswert ist die fehlende Rezeption Kahlbaums zu seiner Zeit oder vielmehr die spärliche wissenschaftliche Diskussion, die seine Krankheitslehre erfährt. Katzenstein sieht dafür mehrere Gründe: sein Stil ist schwerfällig und umständlich, eine deutlich größere Verbreitung erfahren zum Missfallen Kahlbaums ausgerechnet die Schriften, die sein Assistent Ewald Hecker (1843 - 1909) in seinem Auftrag verfasst. Kahlbaum spart zugunsten des wissenschaftlichen Textes mit praktischen Beispielen, und die neue Nomenklatur (Aufteilung in Symptome und Krankheitsbilder) wird als störend empfunden. Auch verhindert die verbreitete Konzeption der ``Einheitspsychose'' die klinische Betrachtungsweise.\footcite[37ff]{katzenstein} % Katzenstein schließt, dass Kahlbaum seiner Zeit voraus war und schreibt ``Von Kahlbaums Krankheitsformen blieben bis heute die Katatonie und die von Hecker in Kahlbaums Auftrag beschriebene Hebephrenie erhalten.''\footcite[40]{katzenstein} \subsection{Paraphrenie bei Emil Kraepelin} Kraepelin veröffentlichte zwischen 1883 und 1927 neun Fassungen seines Lehrbuches, welche bei Kolle im Detail verglichen werden. Die ``Dementia praecox'' scheint in der vierten Auflage auf. Hier schlägt er 1893 eine Richtung ein, die sich auch inhaltlich von der zeitgenössischen Psychiatrie abhebt. Die Aufteilung der endogenen Psychosen in ``Dementia praecox'' und ``manisch-depressives Irresein'' hatte große Auswirkungen auch auf die Psychiatrie des 20.\, Jahrhunderts.\footcite[183]{roelcke1999}$^,$\footcite[]{greene} %Sie wird hier unter den ``psychischen %Entartungsprozessen'' aufgelistet, in der fünften Auflage 1896 als Untergruppe %der ``Verblödungsprozesse'' in die Reihe der ``Stoffwechselprozesse'' %eingegliedert und erst 1899 in der sechsten Auflage endgültig als eigenes %Hauptkapitel dem ``manisch-depressiven Irresein'' %entgegengestellt.\footcite[31]{kolle} % In der achten Auflage 1913 wird die ``Dementia praecox'' schließlich gemeinsam mit der ``Paraphrenie'' unter dem Hauptkapitel der ``endogenen Verblödungen'' angeführt.\footcite[30ff]{kolle} Über die Auswirkungen von Kraepelins Methode auf die Einteilung seines Klassifikationssystems ist an mehreren Stellen bei Volker Roelcke und Eric J. Engstrom nachzulesen. Beispielsweise legt er besonderen Wert auf körperliche Aspekte und objektiv beobachtbare Phänomene, weniger auf psychische wie Wahn und Halluzinationen.\footcite[186]{engstromroelcke} Die Zählkarten lassen auch keinen Raum für eine Darstellung der Lebensgeschichte aus Sicht der Patient*innen oder für familiäre Probleme.\footcite[387]{roelcke1997}. % HIER % TODO % Als Anstaltsleiter richtet Kraepelin bald nach seiner Übernahme der Heidelberger Irrenklinik durch Umstrukturierung zwei Räume für experimentalpsychologische Untersuchungen ein\footcite[53]{engstrom1998}, beklagte aber, Wundts Methoden % im Klinikalltag kaum anwenden zu können.\footcite[145]{steinberg} % Statt dessen hofft er auf wissenschaftliche Erkenntnisse durch einen hohen Durchsatz\footcite[67]{engstrom1998} und eine Vereinheitlichung der Notation in Form von Zählkarten\footcite[190]{roelcke1999}\footcite[64f. Bis 1896 (zur fünften Auflage seines Lehrbuchs) hat Kraepelin an die 1000 Fälle auf diese Art dokumentiert, was jedoch nicht nur seiner Ansicht nach zu wenig ist, sondern auch die Kritik seines Zeitgenossen Eduard Hitzigs nach sich zieht]{engstrom1998}, welche wohl auf die beim internationalen Psychiaterkongress 1867 geplanten, in Fachkreisen umstrittenen Zählblaetter\footcite[173f]{engstromroelcke} zurückgehen. Auch wenn sie für seine unmittelbare Arbeit nicht zentral ist, kommt Kraepelin auf die Experimentalpsychologie seines Lehrers Wilhelm Wundt in einem lebenslangen Briefwechsel % TODO: REF!! Briefe??? mit diesem immer wieder zurück. Die auf physiologischen Versuchen basierende Methode ist wohl ausschlaggebend für seinen Zugang zur Psychiatrie, der auf drei Grundlagen basiert: Krankheitsursachen, Hirnpathologie und klinische Analyse. Da die ersten beiden noch nicht hinreichend erforscht sind, konzentriert er sich auf die Klinik und legt großen Wert auf die strukturierte Erfassung der Krankengeschichten mittels ``Zählkarten'', welche er seinen Fragestellungen entsprechend modifiziert. Ätologisch kommt nur ``erblich'' oder ``andere Ursachen'' in Frage, es gibt ``keinen eigens vorgesehenen Raum fuer eine Darstellung der Biographie des Patienten aus eigener Perspektive, oder für Beziehungen innerhalb der Familie.''\footcite[190]{roelcke1999}$^,$\footcite[108 Volker Roelcke in ``Laborwissenschaft und Psychiatrie: Prämissen und Implikationen bei Emil Kraepelins Neuformulierung der psychiatrischen Krankheitslehre'']{gradmannschlich}. Die statistischen Methoden aus Wundts psychologischem Unterricht sind ihm dabei sehr hilfreich, dennoch bedauert nicht nur er die vergleichsweise geringe Zahl der Fälle, auch Eduard Hitzig schließt sich dieser Kritik an.\footcite[65]{engstrom1998} % bis 1896 1000 Faelle nach engstrom1998/65 % Hier tut sich ein weiteres Spannungsfeld im Wirken Emil Kraepelins auf: sowohl vom Versorgungsauftrag als auch seinem Beduerfnis nach wissenschaftlicher Sorgfalt her wünscht er sich in Heidelberg mehr Aufnahmen. Seine Klinik ist auch als Akutstation für Neuerkrankte konzipiert, um diesen eine rasche Besserung zu ermöglichen, die ständige Überbelegung führt jedoch zu verspäteten Aufnahmen, sodass Kraepelin bedauert, dass er die Frühphasen nicht zu seiner Zufriedenheit dokumentieren kann.\footcite[63]{engstrom1998} % Die hohe Zahl an Aufnahmen führt andererseits zu Konflikten mit den Pflegeanstalten in Emmending und Pforzheim, da chronisch Kranke alsbald an diese überwiesen werden müssen.\footcite[59]{engstrom1998} Während Kraepelin dem Ministerium gegenüber den Verbleib der Zählkarten in seiner Anstalt erreicht, ist es durch diese Probleme für ihn schwierig, den weiteren Krankheitsverlauf seiner Patient*innen durch Besuche dort zu verfolgen. % Angesichts dessen erstaunt es auch nicht, dass seine Bemühungen scheitern, die Aufnahmerichtlinien dahingehend abändern zu lassen, dass eine freiwillige Aufnahme für Patient*innen in der Heidelberger Universitätsklinik möglich wird und psychisch auffällige Straftäter*innen auch von der Exekutive rasch in seine Klinik überstellt werden.\footcite[57]{engstrom1998} In der achten Auflage seines Lehrbuchs stellt er schließlich die Paraphrenie 1913 in die Gruppe der endogenen Psychosen neben der ``Dementia praecox''. Auf Grund einer Auswertung seiner Zählkarten stellt er diese als eine Krankheit vor, welche sich durch eine Abwesenheit der Negativsymptome auszeichnet, bei der also, wie er schreibt, ``selbständige Willensschädigungen und namentlich auch gemütliche Verblödung fehlen oder doch nur schwach angedeutet sind. Bei dieser Umgrenzung scheint mir der sonst heute nicht mehr gebräuchliche Ausdruck `Paraphrenie' fuer die Benennung der hier versuchsweise ver\-einig\-ten Krankheitsformen einstweilen geeignet zu sein.''\footcite[668 allerdings ohne Hinweis auf Kahlbaum]{kraepelin8} \subsection{Paraphrenie bei Sigmund Freud 1911} Offenbar kurz vor Kraepelin verwendete aber auch Sigmund Freud den Begriff ``Paraphrenie'' als Synonym für die Schizophrenie, weil er sowohl diesen als auch die sachlich verwandte ``Dementia praecox'' als etymologisch unsinnig empfand\footcite[81 Widmer zitiert hier aus Freuds ``Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides)'' (1911), in dem dieser sich wiederum mit der 1903 erschienen Autobiographie des Senatspräsidenten Daniel Paul Schreber auseinandersetzt]{widmerschmid}. %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% \section{Offene Fragen und Ziele} In der Literatur sind wie in Kapitel~\ref{sec:stand} angeführt Werke zur Psychiatriegeschichte im 19.\, Jahrhundert sowie den einzelnen Verwendungsperioden der ``Paraphrenie'' zu finden, jedoch keine Gesamtübersicht mit zeithistorischem Kontext. Die Diplomarbeit wird daher versuchen, die Entwicklung des Begriffes im zeitlichen und fachlichen Umfeld zu verfolgen, eine mögliche Kontinuität in der Verwendung zu erfassen und einen möglichen Zusammenhang mit der Wiener Schule der Psychiatrie um Theodor Meynert zu finden zusammenzufassen. Das wird unter anderem anhand der Beschreibung der endogenen Psychosen bei Emil Kraepelin, der Einführung seiner ``Dementia praecox'' und Bleulers Vorschlag der alternativen Verwendung von ``Schizophrenie'' als Überbegriff erfolgen. Anhand der neueren Literatur soll als Ausblick auch die Verwendung des Begriffs im weiteren 20.\, Jahrhundert erörtert werden. %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% \section{Darlegung der geplanten Durchführung} % inkl. Methodik Die Diplomarbeit wird unter Verwendung von Primär- und Sekundärliteratur versuchen, die Verwendung des Begriffs ``Paraphrenie'' in zeitlich variierenden Bedeutungen auszuloten. Im Besonderen soll gezeigt werden, welche Probleme bei den verschiedenen Verwendungen auftraten und warum das Wort schließlich weitgehend aus dem Fachvokabular verschwand. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Frage, wie weit die Wiener neurowissenschaftliche Schule um Theodor Meynert den Diskurs prägte. Als historisches Umfeld sollen dabei klinische, akademische und soziale Bereiche einbezogen werden, im engeren Sinn wird auch die Argumentation zur begrifflichen Verwendung von Dementia praecox und Schizophrenie herausgearbeitet, die im unmittelbaren Zusammenhang mit jener der Paraphrenie stehen. Dabei soll besonderes Augenmerk auf die Entwicklung von psychiatrischen Klassifikationssystemen ab der zweiten Hälfte des 19.\,Jahrhunderts gelegt werden und wie und warum sich gerade in den Jahren bis 1920 das Selbstverstaendnis der Psychiatrie so stark wandelte. Die weiteren Entwicklung von Klassifikationssystemen im 20.\,Jahrhundert möchte ich in einem Schlusskapitel kurz anreissen, insbesondere soll ein kurzer Abriss zu den historischen Wurzeln der Zweiteilung der endogenen psychosen in Schizophrenien und bipolare Störungen bis hin zu DSM-III auf Grund der Arbeiten von unter anderem Volker Roelcke \footcite{roelcke1999} und Talya Greene\footcite{greene} erfolgen. Da dazu einerseits viel Literatur existiert, andererseits der Begriff der Paraphrenie immer seltener Verwendung findet, soll dieses weniger ausführlich gehalten werden. % Die Bearbeitung des Themas mit weiterer Literaturrecherche und Ausarbeitung soll in den nächsten drei Monaten erfolgen. % Literaturverzeichnis (einheitliches, fachübliches Format, Quellenangaben in Bezug zum Text des Projektplans), %\section{Zeitplan} % (zeitliche Zuordnung der jeweiligen Etappen der Diplomarbeit- Monat/Jahr), % Deckblatt (siehe Informationen). % \nocite{*} %\def\btxeditionlong{Auflage} %\def\btxeditionlong{} %\def\btxeditionshort{Aufl.} %\def\Btxinlong{in} %\def\Btxinshort{i.} %\def\btxandlong{und} %\def\btxandshort{u.} %\def\btxeditorshort{Hrsg.} %\def\btxeditorlong{Hrsg.} %\def\btxeditorslong{Hrsg.} %\def\btxeditorsshort{Hrsg.} % \bibliographystyle{gerapali} % (uses file "plain.bst") %\footbibliographystyle{geralpha} % (uses file "plain.bst") %\footbibliography{gm_sem} %amsra.bst %amsrn.bst %amsrs.bst %amsru.bst %amsry.bst %amsxport.bst %\bibliographystyle{jurabib} % (uses file "plain.bst") %\bibliography{paraphrenia_project} % biber/biblatex: \printbibliography \end{document}