\section{Diskussion und Schlussfolgerungen}\label{ch:schluss} Die Verwendung des Begriffs der ``Paraphrenie'' in der deutschen Psychiatriegeschichte lässt auf den ersten Blick keine rote Linie erkennen --- von Kahlbaum über Kraepelin und Freud bis zu Albrechts ``präseniler Paraphrenie'' und die spätere Verwendung im Kontext von Psychoanalyse und geriatrischer Psychiatrie etwa bei Kay und Roth, die wiederum ähnlich Kahlbaums ursprünglichen Einordnungen die Paraphrenie vor allem im Alter diagnostizieren. Dass das Konzept der Paraphrenie bei Kraepelin und im Prinzip auch bei Freud jedoch unabhängig vom Alter zum Tragen kommt, könnte auch auf einen direkten Einfluß von Guislains Konzept zurückführen. Außer Zweifel steht aber nur, dass dieser Kahlbaum direkt beeinflusste. Im Zuge der Erforschungen wurde jedoch immer mehr klar, dass die Faszination der Psychiatriegeschichte nicht ausschließlich in einzelnen Symptomen und Diagnosen zu finden war, sondern auch in den wissenschaftstheoretischen Konzepten, sozialen Strömungen und individuellen Ansichten, die sich in Nosologie, Lehrbüchern und Schulen widerspiegelten. Dabei fand ich besonders die historische Entwicklung der Psychiatrie als eigenständiger medizinischer Fachrichtung mit entsprechender Theorienbildung im Spannungsfeld von ``Irrenwesen'', Hirnanatomie und Psychologie interessant. Ein Name, der immer wieder auftauchte und auch in der Arbeit vielleicht häufiger vorkommt als notwendig ist der des Schweizer Sozialisten, Abstinenzlers, Hirn- und Ameisenforschers August(e) Forel, dessen Lebens- und Wirkensgeschichte beeindruckte. Auch die Ausführungen über das Frauenstudium zeigten spannende Entwicklungen im 18.~und 19.~Jahrhundert. Eine große Hilfe bei der Recherche besonders in Pandemiezeiten waren in Ergänzung zu den Bibliotheken zunehmend die digitalen Archive, von eingescannten Zeitungen und Zeitschriften über die Digitalisate von Bibliotheken, Buchverlagen und institutionellen Archiven bis hin zu öffentlich zugänglichen Archiven von gemeinfreien Schriften wie \url{https://www.archive.org/}, welche eine reiche Fülle an Scans aus einer Vielzahl von Bibliotheken bereitstellen. \subsection{Limitationen} Die vorliegende Arbeit verfolgt anhand der Primär- und Sekundärliteratur die Verwendung des Begriffs der Paraphrenie im deutschen Sprachraum im 19.~Jahrhundert. Dies stellt nur einen kleinen Bruchteil der Vielfalt der Psychiatriegeschichte dieser Zeit dar. Einerseits ist nicht auszuschließen, dass weitere konzeptuelle Verwendungen dieses Begriffes im fraglichen Zeitraum vorkommen. Andererseits folgt die Entwicklung der Psychosenkonzepte und der Vorstellungen vom ``Irresein'' im Jargon der Zeit komplexen Bögen, die durch den Fokus auf einen einzigen Begriff in den Hintergrund treten. Eine Befassung mit Kraepelins Psychosenkonzepten aus moderner Sicht ist etwa bei Günter Lempa zu finden.\footcite[]{psychosenkonzepte1kraepelin} Eine umfassende Recherche zur ``Paraphrenie'' und anderen Konzepten in den Fachzeitschriften des 19.~Jahrhunderts ist ebenfalls ausständig. Einen Startpunkt kann hier die Dissertation von Alfred E. Angst\footcite[]{angst} geben; Krafft-Ebing zitiert Kahlbaum vor allem über Zeitschriften,\footcite[S.~96, S.~111, S.~162, S.~395]{krafftebing} eine Nachverfolgung dieser Zitate sollte also ebenfalls vertiefende Erkenntnisse bringen. In Bezug auf die Symptomatik (``Nymphomanie, Erotomanie'' und ``erotischen Größenwahn'') und Geschlechterverteilung aufschlussreich wäre vermutlich eine Aufarbeitung des zugrunde liegenden Frauenbildes im Rahmen der Gender Studies.\footnote{\cite[S.~977f, S.~996]{kraepelin8}; \cite[1144]{kahlbaum1878}} Im Planungsstadium blieb mein in der Projektstudie angedachtes Vorhaben, Michel Foucaults Diskurstheorie zu erlernen und auf dieses Kapitel der Psychiatriegeschichte anzuwenden. Auch bei \hyperref[ch:zwang]{Zwang und Non-Restraint} würden sich für eine vertiefende Arbeit einige von Foucaults Werken zu Psychiatriegeschichte, Macht und die Episoden von Anti-Psychiatrie im 19.~und 20.~Jahrhundert anbieten, die auch die Prozesse um die \hyperref[ch:dsm]{Entstehung von DSM und ICD} beeinflussten.\footnote{\cite[p.~343ff]{decker}, \cite[p.~364ff]{greene}, \cite[]{diskurs}} Für den Seelenbegriff im Sinne von \hyperref[ch:psychesoma]{Psyche und Soma} konnte ich bei Kiefer leider keine für die Arbeit hilfreichen Informationen finden, vermutlich, weil mir der philosophische (oder theologische?) Hintergrund fehlt. Die sorgfältig aufgelisteten und erläuterten Vorstellungen sind aber sicher in einem anderen Kontext umso hilfreicher. Ein ähnliches Problem hatte ich mit dem Werk von Alfred Arnold über Wilhelm Wundt, das 1980 in der DDR verlegt wurde und im Rahmen der dialektischen Diskursanalyse Wundts Arbeit beleuchtet.\footnote{\cite[]{kiefer}, \cite[]{arnold}} Woher Freuds Verwendung des Begriffs der Paraphrenie im Rahmen seiner Psychosentheorie stammte, ob er ihn etwa von Kahlbaum oder direkt von Guislain übernahm, war im Rahmen dieser Arbeit nicht klärbar. Allerdings gibt es laut Kirchhoff Parallelen zwischen Kahlbaums Assistent Hecker und Freud.\footcite[S.~215]{kirchhoffdi2}