% vim: textwidth=75 \documentclass[a4paper,11pt]{article} \usepackage[german]{babel} \usepackage{epsfig} \usepackage{verbatim} \newcommand{\tilda}{\def\~{}} \newcommand{\grad}{\ensuremath{^\circ}} \usepackage{german} %\selectlanguage{\austrian} \usepackage[breaklinks=true]{hyperref} \hypersetup{ pdfauthor = {Alexander \"Olzant}, pdftitle = {Mehrsprachigkeit als Aspekt der Sprachentwicklung}, pdfsubject = {Mehrsprachigkeit}, pdfkeywords = {Mehrsprachigkeit Sprachentwicklung Universalgrammatik}, pdfcreator = {LaTeX with hyperref package}, pdfproducer = {dvips + ps2pdf}} \begin{document} \titlepage \title{Mehrsprachigkeit als Aspekt der Sprachentwicklung\\ \vskip10em 190.414\\ Entwicklungspsychologie im Spannungsfeld unterschiedlicher Begabungen \\ bei Dr Elfriede Wegricht } \author{Alexander \"Olzant\\ 9301547\\ E 190 884 423} \maketitle \thispagestyle{empty} \newpage \tableofcontents \newpage \section{Einleitung} \begin{quote} \glqq Sprachen unterscheiden sich nicht in dem, was sie ausdr\"ucken k\"onnen, sondern in dem, was sie ausdr\"ucken m\"ussen\grqq \\ ``Les langues diff\`erent essentiellement par ce qu'elles doivent exprimer, et non par ce qu'elles peuvent exprimer''\\ Roman Jakobson, zitiert nach \cite{wode1995} \end{quote} Mehrsprachigkeit ist ein vieldimensionales Ph\"anomen: sie \"aussert sich in so unterschiedlichen Bereichen wie der Literatur mit all ihren Untergattungen wie Lyrik, Prosa, Novellen, Legenden, in Gebrauchstexten, in Liedern und Ges\"ngen vom Choral \"uber das Volkslied bis zu politischen Auformungen, dem gesprochenen Wort und in der Kalligraphie. Der Lehrveranstaltung gem\"a\ss wird besonderes Augenmerk auf den entwicklungspsychologischen Aspekt gelegt, nach einem Abriss \"uber kindlichen Spracherwerb (Kapitel \ref{Sprachentwicklung}) im Allgemeinen und die zeitliche Abfolge von Fremdsprachenerwerb relativ zur Erstsprache (Kapitel \ref{Fremdsprachenerwerb}) folgt eine kurze Beschreibung von Theorien zum Fremdsprachenerwerb (Kapitel \ref{Theorien}). \section{\label{Sprachentwicklung}Sprachentwicklung Allgemein} Als besonders eing\"angiges Bild zur nat\"urlichen Sprachentwicklung ist der Sprachbaum von Wendlandt \cite[11]{springer2000}, der von den \glqq Wurzeln\grqq{} sensomotorischer, haptischer und anderer perzeptiver Eindruecke aus bei entsprendem kommunikativem (\glqq Gie\ss{}kanne\grqq) und emotionalem (\glqq Sonne\grqq) Input \"uber den Stamm von Sprachverst\"andnis und Sprechfreude in der dreigeteilten \glqq Krone\grqq{} aus Artikulation, Wortschatz und Grammatik gipfelt. Als h\"ochster \glqq Wipfel\grqq{} wird dann die Schriftsprache aufgesetzt. Der zeitliche Ablauf des Spracherwerbs ist ebenfalls bei \cite[22]{springer2000} folgenderma\ss{}en angegeben: \noindent \begin{tabular}[t]{ | p{.15\textwidth} | p{.4\textwidth} | p{.25\textwidth} | p{.15\textwidth}| } \hline Alter & Sprach\"ausserungen & Sprachverst\"andnis & Fremd\-sprachen\-relevanz \\ \hline \hline Neu\-ge\-bo\-ren\-es & schreit & nicht pr\"ufbar & {\em Per\-zep\-tion von Pho\-nem\-en } \\ \hline bis 0;6 & gurren, juchzen, quietschen, lallen; erste Kehllaute, Konsonantenverbindungen & bicht pr\"ufbar & \\ \hline bis 0;10 & erste Silben: ba, be; Silbenverdopplungen & Kind sucht Gegenst\"ande bei Benennung & \\ \hline bis 1;0 & Lallmonologe aus verschiedenen Silben, erste unterscheidbare W\"orter & Kind reagiert auf seinen Namen und einfachste Imperative & \\ \hline ca 1;0 & 2 - 10 W\"orter, meist vereinfacht & kann Sachen heranholen & \\ \hline bis 1;6 & Einworts\"atze, erste Fragen, Antworten & Verst\"andnis von Aufforderungen und Fragen & \\ \hline bis 2;0 & 20 - 50 W\"orter, inkl. Verben und Adjektiva, einfache S\"atze, erste Fragen (Satzmelodie) & passiver $>$ aktiver Wortschatz & \\ \hline bis 2;6 & Erweiterung des Wortschatzers, Flexionen, Partizipien, Fragew\"orter, deutlichere Aussprache, aber Schwierigkeiten mit Anlautverbindungen (kl, pl ...) & versteht fast alles & \\ \hline bis 3;0 & Schwierigkeiten mit 3 Anlauten (Pflaume, ...), sicherere Verwendung von Pronomina, , Pr\"apositionen, Hilfsverben der Vergangenheit, Frages\"atze durch Umbildungen (Hast du geschlafen?) & Schwierigkeiten bei Gegens\"atzen, Komparativen, ... & \\ \hline bis 3;6 & Schwierigkeiten mit einigen wenigen Lauten (sch, pfl...), weiteres Anwachsen des Wortschatzes, Nebens\"atze mit korrekter Satzstellung, viele Fragen & Kind kann je nach Erfahrungen alles verstehen & \\ \hline 4;0 - 6;0 & flie\ss{}ende Sprache, komplexe S\"atzem Nacherz\"ahlungen, variierender Ausdruck von Gedankeng\"angen, Zahlen bis 10, abstrakte Beriffe, eigener Name ... & gef\"uhlsm\"a\ss{}ige Beherrschung der Erstsprache & \\ \hline \end{tabular} % Ebenfalls \vspace{2em} Die Grundlage zum Erlernen von Sprachen ist bei Menschen nat\"urlich die gattungsspezifische Sprachlernf\"ahigkeit, die auf mehreren Faktoren basiert. Darunter sind sowohl physiologische Gegebenheiten zu verstehen, die teilweise erst ab einem bestimmten Lebensalter ausreichend entwickelt sind, als auch die neurologische F\"ahigkeit zur Lautunterscheidung und die F\"ahigkeit, mittels der als angeboren betrachteten Universalgrammatik aus dem {\it Input} eine Sprache (im Fall des Kleinkindes die Erstsprache) zu erlernen. Die ontogenetische Reife zum Sprechen wird \"ublicherweise erst mit 12 Monaten erreicht, die Lautunterscheidung in Hinblick auf die Zielsprache ist jedoch bereits vorher ausgepr\"agt; wie in Kapitel \ref{Sprachlernfaehigkeit} gem\"a\ss \cite{wode1995} gezeigt wird, erfolgt im Alter zwischen sieben und zw\"olf Monaten eine Konzentration auf die Unterscheidungsf\"ahigkeit f\"ur die in der Zielsprache tats\"achlich verwendeten Phoneme. \"Uber die vermutete Existenz und vermeintliche altersabh\"angige Nutzbarkeit einer genetisch bedingten Universalgrammatik siehe Kapitel \ref{Universalgrammatik}, wo nach \cite[S. 26ff]{siebert2001} die von Noam Chomsky seit 1967 vertretenen Postulate n\"aher erl\"autert werden. F\"ur die Entwicklung der Rezeptions- und Produktionsf\"ahigkeiten jeder Sprache von besonderem Interesse ist nat\"urlich die Stimulierung durch die Umgebung. Auf die F\"orderung im Sinne erfolgreichen mehrsprachigen Heranwachsens gehe ich im Unterkapitel \ref{Foerderung} n\"aher ein, in welchem Bereich die wissenschaftlichen mit den traditionellen Beobachtungen \"ubereinstimmen. \subsection{Biologische Faktoren der Sprachentwicklung} Wode beschreibt bereits 1988 \cite[301ff]{wode1988} Studien um 1930 bis 1950, nach denen M\"adchen fr\"uher als Jungen zu sprechen beginnen und sich diese sprachlichen F\"ahigkeiten auch bis zum Schulbeginn fortsetzen, ohne Abh\"angigkeit vom sozio\"okonomischen Status und dem IQ, was jedoch neuere Studien zum gr\"osseren Teil widerlegen (Anastasi/D'Angelo 1952, Berko 1958, MacCaulay (1978) halte die These, dass M\"adchen den Jungen \"uberlegen seien, f\"ur einen Mythos). Bez\"uglich residueller Unterschiede verweist er auf rollenbedingte sprachliche Besonderheiten, die in den Aufgabenstellungen der Tests ja nicht ber\"ucksichtigt werden. \subsection{\label{Sprachlernfaehigkeit}Die gattungsspezifische Sprachlernf\"ahigkeit} Im wesentlichen h\"angt die F\"ahigkeit zum Spracherwerb nicht vom Lebensalter ab, allerdings verschieben sich gem\"a\ss{} \cite{wode1995} die Wahrnehmungsgrenzen bez\"uglich der Phoneme bereits im ersten Lebensjahr zwischen 0;7 Jahren und 1;0 Jahren dahingehend, dass nur noch in der Erstsprache (L1) verwendete Phoneme unterschieden werden k\"onnen. Dass es sich dabei jedoch nicht um eine physiologische Ver\"anderung handelt, zeigt er an Hand eines Gegenexperimentes: je nach Intervall zwischen L1-ununterscheidbaren Stimuli k\"onnen auch Erwachsene diese unterscheiden, offenbar handelt es sich bei der Wahrnehmungsver\"anderung also um ein kognitives Ph\"anomen in Speicherung und Abruf. Zum Lauterwerb bei Mehrsprachigkeit kann er zu diesem Zeitpunkt keine Studien zitieren \cite[20]{wode1995}, verweist aber darauf, dass der f\"ur L2 (Zweitsprache(n)) typische Transfer, also die Anwendung bekannter Strukturen auf neue Sprachen, beim simultanen Spracherwerb nicht auftrete und legt nahe, dass die Rezeptionsf\"ahigkeit sich f\"ur die simultan erworbenen Sprachen separat entwickle. \subsection{Grundlagen der Spachf\"ahigkeit} Eine allgemeing\"ultige Theorie zum Spracherwerb gibt es nicht, vereinfachende Ans\"atze sind aber h\"aufig anzutreffen. \begin{quote} Stark generalisierende Feststellungen kommen jedoch h\"aufig vor, z.~B. auf der Grundlage eines der zwei erkenntnistheoretisch gegens\"atzlichen Ans\"atzen, dem {\em behavioristischen (empiristischen)} und {\em nativisteischen (mentalistischen, rationalisitschen)} Ansatz. Beide haben ihre Wurzeln in der aus der griechischen Philosophie bekannten ph\'ysei-th\'esei-Debatte \"uber die Entstehung der Sprache. Der platonischen Auffassung nach ist die Sprache ph\'usei, d.~h. von Natur aus entstanden, der aristotelischen Ansicht nach ist diese {\em th\'esei}, d.~h. durch Festlegung des Menschen geschehen. [...]\\ \cite[83]{oksaar2003} \end{quote} Nach dem nativistischen Modell wird jede nicht dem Input entnommene Fertigkeit als angeboren betrachtet, die F\"ahigkeit zur Lautunterscheidung (Phonologie) l\"asst sich auch tats\"achlich bei vielen Gattungen nachweisen \cite[17, Chinchillas (Kuhl/Miller 1978), Rhesusaffen (Kuhl 1978)]{wode1995}. Bez\"uglich der anthropolgoischen Entwicklung der Sprache sieht er Selektion als unwahrscheinlich, da die Entwicklung der menschlichen Sprachf\"ahigkeit kaum von einer vorhandenen Sprache abh\"angen kann \cite[22]{wode1995}. %Als Alter %TODO Perzeption vs Produktion % Perzeption und Typologie: erh\"ohte Sensibilit\"at des menschlichen %auditiven Systems, daher geringe Zahl tats\"achlich verwendeter Phoneme \subsection{\label{Hoermodi}H\"ormodi} Allgemein k\"onnen Menschen viele verschiedene Ger\"ausche unterscheiden, bez\"uglich der Sprachrezeption sind diese in Kategorien wie Lautst\"arke, Tonh\"ohe, Grad der Nasalit\"at, Lippenspannung und Stimmhaftigkeit (Spiranten: {\it rise}, {\it rice}; Verschl\"usse: {\it ride}, {\it right}) unterschieden. Dabei sind zwei Modi zu unterscheiden, der {\em kontinuierliche H\"ormodus}, der die Unterscheidung sehr feiner ger\"auschlicher Abstufungen erm\"oglicht, jedoch zu tr\"age f\"ur die Sprachwahrnehmung ist, und der {\em kategorielle H\"ormodus}, der dies erm\"oglicht, indem er einfache Entweder-Oder-Entscheidungen (stimmhaft oder nicht-stimmhaft, nasal oder nicht-nasal, gerundet oder nicht-gerundet ...) determiniert. Dabei ist die Auspr\"agung des Merkmals unerheblich - je nach Sprache (aber auch von Person zu Person) kann diese innerhalb gewisser Grenzen variieren. % \"Uberblick: Repp 1984 Die Beobachtung des nat\"urlichen Sprachverhaltens deutet bereits auf die Existenz des Sprachh\"ormodus hin, nach \cite{wode1995} wurden auch Nachweise vermittels elektronischer Verfahren erbracht (z. B. experimentelle Feststellung der Wahrnehmung in der zeitlichen Abfolge von Stimmhaftigkeit und Verschlussl\"osung bei {\it ba/pa}) \section{\label{Fremdsprachenerwerb}Arten von Mehrsprachigkeit} \subsection{Entwicklung der L1-Schallperzeption} Die im Kapitel \ref{Hoermodi} beschriebene Unterscheidungsf\"ahigkeit von Phonemen l\"asst sich bereits von Geburt an nachweisen, wobei sp\"ater Zur\"uckbildung der f\"ur L1 nicht ben\"otigten Unterscheidungsf\"ahigkeit zu beobachten ist. Auch bei Erwachsenen sind noch geringe, aber vorhandene pers\"onliche Unterschiede in der Wahrnehmung festzustellen, es muss also immer von relativer Kategorialit\"at ausgegangen werden. Entwicklungspsychologisch erfolgt eine Ver\"anderung der F\"ahigkeiten auf die Zielsprache hin, die letzten Endes viele Jahre in Anspruch nimmt. \subsection{L1-Mehrsprachigkeit} Wenn gleichzeitig mehrere Erstsprachen gleichzeitig erworben werden, sind diese weitgehend als gleichberechtigt anzusehen. Das Sprachenlernen muss als Prozess des R\"uckschlusses der Perzeption auf die Produktion angesehen werden, im Gegensatz zum sp\"ateren Fremdsprachenerwerb (L2) erfolgt auch kein Transfer von der Erstsprache; Wode kann jedoch 1995 noch keine % wie L2 % Wode 1992, 1994 keine detaillierten Studien zum simultanen Erstspracherwerb zitieren. \subsection{L2-Mehrsprachigkeit} L2, L3 == Sprachen, die nach Mutter/Vatersprache erworben werden \begin{itemize} \item weniger gut untersucht als L1, haupts\"achlich Stimmhaftigkeit, /r/, /l/ \item Kategoriengrenzen oft in beide Richtungen verschoben, wenn L2 mehr gesprochen/geh\"ort wird (MigrantInnen: Herausbildung einer Sprachgemeinschaft mit modifizierter L2) \item Problem: Forschung weitgehend auf SprecherInnen mit nicht zielgerechter Aussprache beschr\"ankt, da sie leichter zu finden sind als solche mit guter L2-Beherrschung \end{itemize} \section{\label{Theorien}Theorien und Thesen zum Fremdsprachenerwerb} \subsection{Hypothesen zum Spracherwerb} Die hier zitierten Hypothesen sind \cite[2ff.]{siebert2001} entnommen und werden in dem Werk durchgehend verwendet, insbesondere die Autonomiehypothese findet sich sp\"ater im Kapitel zur Universalgrammatik wieder. Die {\bf Akkulturationshypothese (A1)} besagt, dass eine gest\"orte sprachliche, speziell grammatikalische Kompetenz in der Zweitsprache unmittelbar auf kulturelle Differenzen zwischen den Kulturen zu finden w\"are, im besonderen wird etwa in Deutschland ein \glqq R\"uckzug in die eigene ethnische Gruppe\grqq{} bei der t\"urkischen Minderheit diskutiert. Nach der {\bf Interdependenz- und Schwellenhypothese (B1)} ist die sprachliche Entwicklung in der Zweitsprache ebenso wie die allgemeine kognitive Entwicklung unmittelbar mit dem sicheren Erwerb der Erstsprache verkn\"upft, sie wird in Deutschland kontrovers diskutiert. Die Forderung, Kinder aus Sprachminderheiten etwa bis zum zehnten Lebensjahr monolingual nur in der Erstsprache zu erziehen wird jedenfalls nicht mehr vertreten, fast im Gegensatz dazu wird ja in den Schulen Mehrsprachigkeit auch mittels Fremdsprachenunterricht gef\"ordert. Die {\bf Hypothese C1} geht davon aus, dass unzul\"angliche Kenntnisse in der Zweitsprache in der Verantwortung des mangelhaften Sprachunterrichts in der Schule liegen, wo anstatt von Grammatikunterricht der Schwerpunkt auf \glqq Handlungs- und Situationskompetenz\grqq{} (5) gelegt werde. Die Hypothesen A1 sieht dementsprechend die Hauptverantwortung im kulturellen Umfeld, C1 in der Institution Schule, w\"ahrend die Interdependenzhypothese B1 eine Mittelstellung einnimmt, indem sie der Schule vor allem eine Rolle bei der Unterweisung in der Erstsprache zuweist. Dem gegen\"uber stehen die drei folgenden Aussagen, die teilweise zumindest bez\"uglich des Grammatikerwerbs Gegenpole zu den bisher genannten vertreten. Aus der {\bf \label{Autonomiehypothese} Autonomiehypothese (A2)}, auf die auch im Kapitel zur Universalgrammatik (S. \pageref{Universalgrammatik}) noch eingegangen wird, geht hervor, dass der Grammatikerwerb im Kindesalter vorwiegend unabh\"angig von der allgemeinen kognitiven Entwicklung, vom Erwerb weiterer Sprachen und dem Umfeld erfolge, im wesentlichen also auf nativistischer Basis erfolge. Demzufolge sollte erfolgreicher gleichzeitiger Erwerb mehrerer Sprachen m\"oglich und Vereinfachungen oder Vermischungen lassen sich nicht mit der Akkulturationshypothese A1 begr\"unden. Im Sinne der {\bf Hypothese B2} erfolgt das Lernen der Grammatiken in verschiedenen Sprachen unabh\"angig voneinander, sie steht im Widerspruch zur Interdependenzhypothese B1. Trifft B2 zu, so k\"onnen die Probleme beim Grammatikerwerb (und nur diese) nicht mittels der Interdependenz- oder Schwellenhypothese erkl\"art werden. Siebert-Ott argumentiert selbst gem\"a\ss{} einer fr\"uheren Studie (2000) f\"ur Immersionsprogramme als {\bf Hypothese C2}, ohne den Diskurs jedoch als abgeschlossen zu betrachten. Ihren Ausf\"uhrungen zu Folge finden auch im traditionellen, lehrerInnenzentrierten und zu einem guten Teil grammatikalisch instruierenden Sprachunterricht nat\"urliche Sprachlernprozesse statt, die Merkmale von Immersionsprogrammen fehlten jedoch. \subsection{\label{Universalgrammatik}Theorie der Universalgrammatik} W\"ahrend das alte Vorturteil gesellschaftlich noch verbreitet ist, dass die fr\"uhe Mehrsprachigkeit eine besondere Begabung voraussetze und bei den meisten Kindern eine \"Uberforderung darstelle, die Defizite in sprachlichen, kognitiven und sozialen Bereichen nach sich ziehe, entspricht diese Meinung heute nicht mehr dem Stand der Wissenschaft. Unter der Voraussetzung, dass nicht eine der beiden Sprachen deutlich \"uberwiegt und eine funktionale Trennung herrscht, wird eine zweisprachige Erziehung heute ziemlich unumstritten als vorteilhaft gesehen, eine St\"orung der sprachlichen Entwicklung ist gem\"a\ss den zitierten Untersuchungen \cite[S. 22, nach Koehn/M\"uller 1990]{siebert2001} nicht zu beobachten. Gem\"ass der Autonomiehypothese A2 \cite[26ff]{siebert2001} wird argumentiert, dass der kindliche Spracherwerb auf angeborene Prinzipien, die {\em Universalgrammatik} \cite[nach Bierwisch 1987, Fanselow/Felix 1987]{siebert2001}, zur\"uckgreife, da trotz der begrenzten sprachlichen Erfahrung, fehlerhaften Inputs und nicht konsistent erfolgender Korrektur sprachlicher Fehler des Kindes dieses auf Grund rein positiver Beispiele die Sprache von selbst erlerne. Noam Chomsky, der diese Theorie ebenfalls vertrat, sprach dabei auch vom {\it Language Acquisition Device (LAD)}. \subsection{Theorie der Kritische Sprachlernspanne} Vielerorts wird die Hypothese vertreten, dass im Rahmen der Lateralisierung der Gehirnfunktionen auch physiologische Ver\"anderungen in der Gehirnfunktion auftreten, sodass der Erwerb weiterer Sprachen sp\"atestens nach der Pubert\"at erschwert ist. Penfield/Roberts (1959) etwa \cite[52ff]{oksaar2003} schlie\ss{}en analog zu den Beobachtungen bei V\"ogeln und Hunden auf den Entwicklungsprozess bei Menschen, Long (1990) setzt das krtische Alter mit 6 Jahren, Lenneberg (1967) in der Pubert\"at an, nach Abschluss der {\em kritischen Periode} sei der Fremdspracherwerb erschwert. Eine Reihe von Publikationen \cite[53]{oksaar2003} sprechen sich aber gegen diese Hypothese aus, indem verschiedene empirische Beobachtungen zitiert werden. \begin{quote} Ein \"uberzeugendes Argument gegen die Pubert\"at als oberste Grenze der kritischen Periode hat sich durch den vieler\"orterten Fall Genie in Los Angeles ergeben, die 1970, im Alter von 14 Jahren erst anfing, ihre Muttersprache zu lernen und Fortschritte machte, obwohl sie w\"ahrend der kritischen Periode im Sinne Lennebergs keine Sprache geh\"ort hatte (Curtiss 1977, McLaughlin 1984, 50f.)\\ \cite[53f]{oksaar2003} \end{quote} Auch dieser Fall ist jedoch unklar, der Spracherwerb von Genie z\"ahlt weder als normal noch als vollst\"andig. Lenneberg gestehe jedenfalls zu, dass es m\"oglich w\"are, Sprachen auch nach der Pubert\"at zu lernen, jedoch mit zwei Differenzen zum nat\"urlichen Spracherwerb: Aussprache wie bei L1-Spracherwerb sei nicht mehr der Normalfall, und die Leichtigkeit, mit der eine Sprache durch das Leben in einem Lande erlernt werden k\"onne, gehe verloren \cite[54]{oksaar2003}. Als Alternative wird nach Oyama (1976) eine {\em sensitive Periode} angedacht. Als gesichert kann die Theorie also nur in Teilbereichen gelten: die Sprachlernf\"ahigkeit im Kindesalter ist weniger von kognitiven Vorg\"angen beeinflusst, und bereits vor Erlernen von Produktionskompetenzen wird wie in Kapitel \ref{Sprachlernfaehigkeit} nach \cite{wode1995} im Alter von etwa sieben bis zw\"olf Monaten die kategorielle Wahrnehmung auf die in der/den Erstsprache(n) zur Verwendung gelangenden Phoneme eingeschr\"ankt, was aber experimentell keine physiologischen Auswirkungen zeigt. % %\section{Grundlegende Arten der Zweisprachigkeit} %\begin{itemize} %\item sukzessiver Zweitspracherwerb (MigrantInnen) %\item simultaner Zweitspracherwerb (Doppelsprachigkeit, % doppelter Erstspracherwerb, Bilingualismus, Trilingualismus ...) %\item Erstspracherwerb (L1) in einer Umgebung, in der die Erstprache eine % Minderheitensprache ist %\end{itemize} %\section{In zwei Sprachen leben} %nach Edeltraud B\"ulow %\begin{itemize} %\item Emotionalit\"at f\"ur eine Sprache sowohl Produktiv (Poetizit\"at) %als auch Rezeptiv (``sch\"oner Klang'') %TODO %\end{itemize} % \subsection{Prinzipien der Sprachbetrachtung} Nach \cite[18]{oksaar2003} sind vier Prinzipien der Sprachbetrachtung zu beachten: Kulturalit\"at, Ganzheit, Dynamik und Variation, Heterogenit\"at und Individualit\"at. \begin{enumerate} \item Prinzip der Kulturalit\"at\\ Nach den Methoden der kognitiven Anthropologie sind hier Denkkategorien gemeint, nach der neueren Kulturanthropologie die Gesamtheit des Verhaltens. Von den unz\"ahligen Kulturbegriffen ist vor allem die Definition nach \cite[19, Sapir/Soffietti (1995)]{oksaar2003} gemeint: ``ways of a people'', ``Culture may be defined as {\it what} a society does and thinks. Language is a particular {\it how} of thought.'' \item Prinzip der Ganzheit und des Teilganzen\\ \begin{quote} Jakobsons \cite{jakobson1974} Feststellung, dass es eine Beschr\"ankung ist, sich \"uberwiegend mit dem Satz zu besch\"aftigen und \"ubergeordnete Ganze wie \"Ausserungen und Rede (discourse) zu vernachl\"assigen, ist trotz Diskursuntersuchungen in der Linguistik und im Bereich der Erst- und Zweitspracherwerbsforschung auch heute aktuell. (\cite[20]{oksaar2003}) \end{quote} Ferner vermisst sie den Bezug auf parasprachliche und nonverbale Elemente und bringt Beispiele von Mehrdeutigkeiten, die nur im Kontext, \"uber Mienenspiel, Gestik oder Stimmlage entziffert werden k\"onnen ({\em das ist eine sch\"one Geschichte}). %Isolation SprecherIn H\"orerIn, soziokult. Kontext %Isolierung/Bevorzugung verbaler Elemente bei der Untersuchung der gespr. Spr. %TODO \item Prinzip der Dynamik und der Variation\\ Hier liegt der Bezug auf der unumg\"anglichen stetigen Ver\"anderung in Wortschatz Aussprache und bisweilen auch der Grammatik jeder Sprache, die in einer statischen Unterweisung oft zu wenig ber\"ucksichtigt werden und sich beim Spracherwerb und der Benutzung als problematisch erweisen k\"onnen. Als Beispiele werden hier Neologismen und Eindeutschungen genannt, dazu z\"ahlen aber auch lokale Unterschiede, Ver\"anderungen und Erweiterungen sowie Subkodes nativer SprecherInnen gegen\"uber Lernenden: ``du da gehen'', Differenzen in der Anrede (du, sie, ihr) und pers\"onliche Kreativit\"at im Sprachgebrauch sowie das Idiolekt (Repertoire) der SprecherInnen. \item Prinzip der Heterogenit\"at und Individualit\"at Alle Gruppen sind heterogen, ihre Mitglieder k\"onnen nach unterschiedlichsten Kriterien aufgeteilt werden. Reale H\"oererInnen/SprecherInnen haben Gemeinsamkeiten und Differenzen, die durch den individuelle Spracherwerbsprozess bedingt sind. %in psycholing Strukt. d. Spr.erw. \end{enumerate} \subsection{Sapir-Whorf-Hypothese} Der Anthropologe Edward Sapir und sein Sch\"uler Benjamin Whorf formulierten bereits in den 1950ern ihre Hypothese, dass sprachliche Differenzen auch die Denkkategorien beeinflussen und belegten diese mit eindrucksvollen Studien \"uber Differenzen in der zeitlichen Wahrnehmung zwischen SprecherInnen indogermanischer Sprachen und jenen, die mit der Sprache der Hopi Native American Speakers aufwuchsen, in der zeitliche Ausdr\"ucke als Prozess im Gegensatz zu den (grammatikalisch gesehen) \"ortlichen Metaphern des ``Standard Average European'' (SAE) gesehen wird \cite[nach http://en.wikipedia.org/wiki/SapirWhorfHypothesis]{whorf1964}. Bisweilen wird die Sapir-Whorf-Hypothese auch als {\em Prinzip der linguistischen Relativit\"at} bezeichnet. Diese Hypothese in ihrer starken Form, die kategorielle Denkschranken auf Grund der sprachlichen Ausdrucksf\"ahigkeit nahelegt, findet kaum Anh\"angerInnenschaft, auch nicht von Whorf selbst; umgekehrt bestehen aber wissenschaftlich kaum Zweifel, dass eine schwache Variante der Sapir-Whorf-Hypothese G\"ultigkeit besitzt, dass also Gedanken und Taten linguistisch und sozial beeinflusst sind. Auf Grund seiner Arbeit ausserhalb akademischer Zirkel war Whorfs Arbeit in den 1930ern wenig bekannt und erlangte erst nach seinem Tode Bekanntheit. Die an anderer Stelle besprochenen universalistischen Thesen nach Noam Chomsky \pageref{Universalgrammatik} lie\ss{}en in den 1960er und 1970er Jahren die Sapir-Whorf-Hypothese an Bedeutung verlieren, und einige seiner Fallbeispiele waren stark umstritten. VertreterInnen geschlechtsneutraler Formulierungen berufen sich auf die SWF indem sie argumentieren, dass sexistische Sprache die Denkkategorien in misogyner und misanthroper Weise beeinflusse. \section{Sprachf\"orderung} Grunds\"atzlich erfolgt der nat\"urliche Spracherwerb bei S\"auglingen und Kleinkindern in den meisten F\"allen \glqq wie von selbst\grqq{} \cite[66ff]{springer2000}, weitgehend unbewusst sowohl f\"ur die erwachsenen Bezugspersonen wie f\"ur das Kind. Bewusste Gedanken seien eher hinderlich, ein sprecherfahrenes Kind m\"usse bei einer Alltagsunterhaltung nicht mehr \"uber jedes Wort nachdenken. Der Kompetenzerwerb im Gebrauch von Lauten, Lautverbindungen, W\"ortern, Satzmustern verlaufe aber nicht immer st\"orungsfrei, sodass aktive, prfessionelle Hilfe notwendig sei. Er empfiehlt, dem Kind aufmerksam zuzuh\"oren und die Kommunikation offen und interessant zu gestalten, das Kind anzusehen, um Interesse zu bekunden und ausgiebigen Gebrauch von Mimik und Gestik zu machen, ausserdem f\"uhre der Blickkontakt dazu, dass das Kind Lippen- und Mundposition f\"ur die richtige Aussprache nachvollziehen k\"onne. Weiters seien \glqq Selbstgespr\"ache\grqq{} und Beschreibungen der Handlungen und Gef\"uhle des Kindes hilfreich, damit es Stimuli bekomme, die es nachahmen k\"onne. Besonders wichtig erscheint die Aufforderung, anspruchsvolle Sprache zu verwenden, \glqq [dem] Kind eine Stufe voraus zu sein\grqq{} \cite[68]{springer2000}, und das Kind weder zu \"uber- nach zu unterfordern. Im konkreten Fall von \"Au\ss{}erungsn mit Sprachst\"orungen sei positiv auf den Inhalt und nicht negativ auf die Form einzugehen. Eine (h\"ochst beil\"aufige) korrekte Wiederholung unrichtiger W\"orter oder S\"atze wird aber als nat\"urlich beschrieben und ausdr\"ucklich empfohlen, so lange diese unmittelbar erfolgt (verbesserte Wiederholung) und der Ablauf des Gespr\"achs damit nicht behindert, sondern eher gef\"ordert wird. \section{Fallbeispiel der zweisprachigen Kultur im S\"uden der USA} Nachdem aus S\"ud- und Mittelamerika und in Folge der kubanischen Revolution in den 1960ern und 1970ern auch aus Kuba und dem Rest der Karibik eine kritische Masse von spanischsprechenden Personen in die USA eingewandert waren, verlangten sie auch schulische F\"orderung der Zweisprachigkeit. Bereits 1938 wurde die {\em National Conference of Spanish-speaking People} von Luisa Moreno und Josefina Fierro de Bright gegr\"undet, gr\"osseres Gewicht bekam die \"offentliche Debatte aber erst sp\"ater. Im S\"udwesten war es sp\"ater vor allem die {\em Political Association of Spanish-speaking Organizations (PASSO)}, die einen gewissen politischen Einfluss erlangte und gesetzliche Gleichstellugn einforderte. Besonders die kubanischen Fl\"uchtlinge hofften, nach einer Gegenrevolution auf die Insel zur\"uckzukehren und waren daher auf die Wahrung ihres kulturellen Erbes erpicht, aber auch die ArbeitsmigrantInnen waren stolz auf ihre Erstsprache und k\"ampften f\"ur die schulische und \"offentliche W\"urdigung und Unterst\"utzung. 1974 urteilte der h\"ochste Gerichtshof , dass einsprachige Schulen diskriminierten, und mit dem Recht kam die Pflicht f\"ur die SchulbetreiberInnen zur akademischen W\"urdigung. (nach \cite[161ff]{stavans1999}) Als bemerkenswert streicht Stavans auch heraus, dass in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika kein Hinweis auf Englisch als Sprache besteht: der Ort inkludiert zwar die gesprochene Sprache; diese beeinflusst aber auch die Kultur und integriert sich in die \"Offentlichkeit. \section{Zusammenfassung: \label{Foerderung}F\"orderung der nat\"urlichen Zweisprachigkeit} Gem\"a\ss{} der Autonomiehypothese (Kap. \ref{Autonomiehypothese}) ist ein simultaner Spracherwerb durchaus empfehlenswert und \"blicherweise erfolgreich, wenn die funktionale Trennung der SprecherInnen gewahrt bleibt \cite{oksaar2003}. Auch bei einem sp\"ateren Erwerb in Bildungs- oder Beaufsichtigungseinrichtungen (sukzessiver Erwerb der Zweitsprache) solle unbedingt die Erstsprache weiterhin gef\"ordert, jedenfalls aber ihre Aus\"ubung und Intensivierung nicht behindert werden, da sie als Grundlage f\"ur den Zweitspracherwerb diene und die Zweisprachigkeit eine gro\ss{}e Chance f\"ur die Kinder darstelle \cite[95]{springer2000}. Es wird auf die stark unterschiedliche Rezeption von verschiedenen Erstsprachen hingewiesen, je nachdem, wie weit sie in der umgebenden Kultur als n\"utzlich und prestigetr\"achtig betrachtet werden. Eine Herabw\"urdigung der Erstsprache k\"onne zu \glqq Sprechverweigerung und Abwehrhaltung\grqq{} f\"uhren \cite[94]{springer2000}. \section{Bibliographie} \nocite{*} %\def\btxeditionlong{Auflage} \def\btxeditionlong{} \def\btxeditionshort{Aufl.} \def\Btxinlong{in} \def\Btxinshort{i.} \def\btxandlong{und} \def\btxandshort{u.} \def\btxeditorshort{Hrsg.} \def\btxeditorlong{Hrsg.} \def\btxeditorslong{Hrsg.} \def\btxeditorsshort{Hrsg.} % \bibliographystyle{gerapali} % (uses file "plain.bst") \bibliographystyle{geralpha} % (uses file "plain.bst") \bibliography{Wegricht-Entwicklungspsychologie} \end{document}